(kunid) Für Versicherungen sieht Url positive und negative Auswirkungen der Inflation: Verschobene Anschaffungen werden die Branche belasten, die Menschen werden aber preissensitiver werden, der Beratungsbedarf wird steigen.
Mit den Auswirkungen der aktuell hohen Inflation auf die Nachfrage nach Versicherungen beschäftigt sich der Wirtschaftswissenschafter und Senior Economist des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) Thomas Url.
Betrachtet man die Schlagzeilen der letzten Wochen, so stellt sich die wirtschaftliche Lage als „nicht sehr positiv“ dar. Es ist aber „nicht alles ganz so schlecht“, betont Url.
Gute Entwicklung in Österreich
Zwar haben sich die Einkaufsmanagerindizes zuletzt vor allem in den Industrieländern und da vor allem in Europa eingetrübt. Man darf aber nicht vergessen, dass die Entwicklung in Österreich in den letzten eineinhalb Jahren so gut gewesen ist wie schon lange nicht.
So befindet sich Österreich, was die Veränderung des Bruttoinlandsprodukts betrifft, im europäischen Bereich an der Spitze: Bereits seit zwei Quartalen liegt das BIP über dem Ausgangswert von 2019.
So gut wie Österreich ist es nach der Coronakrise in Europa nur der Schweiz gegangen.
Arbeitsmarkt in guter Verfassung
Hoffnungsschimmer ist auch, dass die aktuelle Lage in Österreich derzeit noch überall gut ist. Top-Thema ist der Mangel an Arbeitskräften: „Dann kann es den Unternehmen nicht so schlecht gehen.“
Dazu kommt, dass die Mehrheit der Unternehmen überzeugt ist, in drei Monaten mehr Beschäftigte zu haben als jetzt. Für das nächste Jahr wird allerdings ein „Dämpfer“ erwartet.
Die Zahl der Arbeitslosen befindet sich nach Corona wieder auf einem normalen Niveau, die Zahl der offenen Stellen klettert und klettert. Zwar ist ein Gipfel sichtbar, aber auf einem hohen Niveau.
Insgesamt verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage zwar, aber „nicht besonders tragisch“.
Woher das Wachstum kommt
Der Großteil des Wachstums ist hierzulande in den letzten drei Quartalen auf Handel, Verkehr und Gastronomie zurückzuführen gewesen. Nicht so gut hat sich die Industrie entwickelt, während sich die Bauwirtschaft auf einem hohen Niveau befindet, aber kein Wachstumstreiber mehr ist.
Auf der Verwendungsseite ist der private Konsum der Wachstumstreiber – darin sind auch die Versicherungsdienstleistungen enthalten. Und das Wachstum wird sich auch über die nächsten Quartale fortsetzen, ist Url überzeugt.
Auf den Kapitalmärkten erwartet Url einen steilen Anstieg der Leitzinssätze auf 4,5 bis 5 % am kurzen Ende. Das hat auch etwas Positives: „Die klassische Lebensversicherung wird wieder etwas attraktiver, als es zuletzt der Fall war.“ Die Realverzinsung bleibe aber auch nächstes Jahr negativ.
Noch nicht am Ende der Inflation
In Österreich ist der Verbraucherpreisindex zuletzt auf mehr als 10 % gestiegen; der Produzentenpreisindex hat sogar um 22 % zugelegt. Url sieht hier „enorm viel Druck“, wir sind noch nicht am Ende der Inflation: „Da kommt noch was nach.“
Getrieben wird die Inflation vor allem von den Energiepreisen. Hohe Inflationsraten gibt es auch bei Nahrungsmitteln, Wohnraum, Restaurants und Verkehr. Das sind aber auch jene Teilaggregate, die ein hohes Gewicht im Warenkorb haben: „Das tut uns wirklich weh.“
Wie Haushalte auf Preisänderungen reagieren
Interessant ist auch, wie stark Haushalte auf Preisänderungen reagieren, also wie stark die Eigenpreiselastizität ist. So werden Haushalte bei einer Preiserhöhung von Nahrungsmitteln um einen Prozentpunkt deren Konsum nur um 0,1 % einschränken.
Die größten Rückgänge gibt es bei einer Preiserhöhung um einen Prozentpunkt demnach bei Möbeln und Ausstattung (Konsumrückgang um 1,1 %), gefolgt von Kommunikation und Finanzdienstleistungen (jeweils -0,9 %).
Bei Energie sind Privathaushalter längerfristig aber bereit, zu investieren und ihren Konsum anzupassen. Dazu kommt, dass jüngere Haushalte stärker auf Preisänderungen reagieren.
Einkommensbelastung teilweise kompensiert
Die Haushaltseinkommen werden durch die erwartete Inflation heuer und im nächsten Jahr um 25 Mrd. Euro schrumpfen. Durch den massiven Anstieg der Sparquote in den Corona-Jahren 2020 und 2021 werden sie allerdings einen „recht ausgeprägten Polster“ von insgesamt 20 Milliarden Euro besitzen.
Dazu kommen weitere Impulse, die die Einkommenslage der Privathaushalte stabilisieren, wie die Inflationsausgleichsmaßnahmen und die Abschaffung der kalten Progression durch die Bundesregierung; dies wird weitere zehn Milliarden Euro pro Jahr bringen.
Zusätzlich werden wohl höhere Kollektivvertragsabschlüsse die Geldentwertung zum Teil kompensieren.
Zur Versicherungsbranche
Positiv in den nächsten ein bis zwei Jahren ist es, dass das Wachstum konsumgetrieben sein wird: „Die Leute geben Geld aus.“
Negative Auswirkungen auf die Versicherungsbranche sieht Url insbesondere dadurch, dass Ausgaben beispielsweise für ein neues Auto verschoben werden, womit der Anteil kaskoversicherter Fahrzeuge sinken wird; auch verschobene Baubeginne könnten die Branche belasten.
Auch in den nächsten Jahren wird die Inflation hoch bleiben, was dazu führen wird, dass private Haushalte preissensitiver und sorgfältiger bei der Auswahl ihrer Produkte werden. Damit wird auch der Beratungsbedarf zunehmen: Hier sind Versicherungsvermittler gefragt.
Schließlich werden durch die Inflation auch die Vermögensunterschiede steigen, weil Haushalte mit höherem Einkommen risikoreicher und damit ertragreicher investieren können. Url sieht hier eine große Aufgabe für die Versicherungswirtschaft, Privathaushalten Instrumente zum Vermögensaufbau zu bieten.